Sibylla Schwarz, Greifswalder Dichterin

2021 jährt sich zum 400sten Mal der Geburtstag der frühbarocken Dichterin Sibylla Schwarz. Zu diesem Anlass erscheint im Verlag Reinecke & Voß die erste Gesamtausgabe der Dichterin seit mehr als 350 Jahren, herausgegeben von Michael Gratz.

Ihr Werk bedient sich der damals neuesten Dichtweisen, wie sie nach dem Vorbild Hollands in Deutschland Verbreitung fanden und behandelt auch heute wieder viel diskutierte Fragen: Die frühreife wirklichkeitswache Dichterin erlebte und beschrieb Krieg und Vertreibung (z.B. im „Trawer=Spiel / Wegen einäscherung jhres Freudenorts Fretow“),  klagte mutiger als ihre Zeitgenossinnen Gleichstellung der Geschlechter ein, etwa wenn sie im „Gesang wider den Neid“ feststellt: „Vermeynstu / daß nicht recht getroffen / Daß auch dem weiblichen Geschlecht/ Der Pindus allzeit frey steht offen / So bleibt es dennoch gleichwohl recht“. Sie hinterfragte Adelsprivilegien in Texten mit Titeln wie „An Den unadelichen Adel“, „Poëten gehn dem unadelichen Adel weit vohr“, thematisierte Gendervorurteile: „Daß jhr den Frawen auch jhr Ehre mögt beweisen / Und zulast jhren Ruhm ; Jhr Sinn und jhr Verstandt / Jst zwar nicht minder klug / doch minder nuhr bekandt.“ (in „Lob der Verständigen und Tugendsamen Frauen“) und innnerhalb der feministischen Literaturwissenschaft wird ihr dichterisches Werk auch als ein frühes Beispiel für eine homosexuelle Identitätskonstruktion Undercover gelesen.

Eisen, die so heiß waren, dass zu ihren Lebzeiten eine anonyme Veröffentlichung unter ihrem „nom de guerre“  „Wachsesternin von Wildesfragen“  (Anagramm auf „Schwartzerin von Greifswalden“) erwogen wurde. Die Autorin war mit so einem Werk naturgemäß nie ganz unumstritten. Bereits 1682 hielt der Gelehrte Daniel Georg Morhof fest: „Dieses nimt mich aber Wunder/ daß man sie nicht in grösserer Hochachtung gehalten/ sondern noch dazu dieser grossen Gaben halber verleumbdet/ worüber sie hin und wieder klaget/ welches ein unfehlbahres Kennzeichen der ungeschliffensten Grobheit ist. Die alten Griechen und Römer/ ja auch noch heute die Außländer hätten vielmehr unter solchen Exempeln die Ehre ihrer Nation gesucht“.

Einstmals dennoch als „pommersche Sappho“, „Wunder ihrer Zeit“ oder „die zehnte Muse“ gepriesen, passte das gelehrte Mädchen, das ihr Werk an internationalen Vorbildern schulte und streitbar ihre Meinung vertrat, nicht zu den Vorurteilen des Biedermeier und der nationalen Romantik, und so wurde sie im 19. Jahrhundert nach und nach aus dem Kanon verdrängt.

Heute jedoch beschäftigt sich nicht nur die Fachgermanistik mit ihrem Werk, sondern auch GegenwartsdichterInnen werden zunehmend auf sie aufmerksam. „Vieles mag einem vertraut vorkommen und doch ist die Schlankheit des Ausdrucks, die Beherrschtheit der Form und Eleganz und Einfachheit dieser so jungen Dichterin bemerkenswert.“ beobachtet etwa der Dichter und Literaturkritiker Hendrik Jackson  „Sibylle Schwarz hat schlicht und einfach bemerkenswerte Texte verfasst   – Texte, die es lohnt zu untersuchen und zu besprechen“, stellte schon 2016 die Literaturwissenschaftlerin Ursula Kocher fest, musste damals jedoch noch fortsetzen: „was allerdings leichter fiele, wenn es eine moderne, umfassend kommentierte Ausgabe gäbe.“

Die entstehende Gesamtausgabe in zwei Bänden bietet dem Wissenschaftler einen textkritisch gesicherten Text und einen umfangreichen Anmerkungs- und Registerteil, der den Stand der Forschung zu Leben und Werk sichtet und aufbereitet, die Edition achtet aber durch Übersichtlichkeit  und ein klar strukturiertes Textbild zugleich auch auf die Bedürfnisse interessierter Leser.

Nach einem Vorlauf von vielen Jahren ist nun auf  den Herbst diesen Jahres der Erscheinungstermin für Band eins festgelegt, Band zwei geht unmittelbar danach in Produktion.

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